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Vademekum für bessere Gesundheit im Gefängnis

Edition No. 96
Jan. 2013
Public health and ethics

Gesundheitsdienst im Strafvollzug. Mit dem im Jahr 2008 lancierten Projekt BIG (Bekämpfung von Infektionskrankheiten im Gefängnis) soll die Gesundheitsversorgung im Freiheitsentzug jener der Aussenwelt angeglichen werden. Dazu braucht es eine engere Zusammenarbeit zwischen Gesundheitssektor und Justizsystem. Ein gemeinsam erarbeitetes Vademekum ist ein erster Schritt dazu.

Studien, die in Gefängnissen verschiedener europäischer Länder durchgeführt wurden, haben ergeben, dass die Morbidität in Haftanstalten höher ist als in der Freiheit. Auch in der Schweiz sind Infektionskrankheiten wie HIV oder Tuberkulose in Strafvollzugsanstalten viel stärker verbreitet als in der Aussenwelt. Um dieses Problem zu lösen, haben das Bundesamt für Gesundheit (BAG), das Bundesamt für Justiz (BJ) und die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) 2008 das Projekt BIG lanciert. Den Gefängnisinsassen sollen im Sinne des Äquivalenzprinzips gleiche Präventions- und Therapieangebote zugänglich gemacht werden wie den Menschen in Freiheit.

Wenig Spritzentausch­programme
Dass das Projekt BIG nötig ist, zeigt sich am Beispiel von Schadensminderungsmassnahmen im Drogenbereich. Die HIV-Epidemie unter intravenös Drogenkonsumierenden (IDU) Ende der 80er-Jahre führte zur Erkenntnis, dass Schadensminderung angesichts der unmittelbaren Gesundheitsgefährdung der IDU eine Priorität sein muss. Spritzentauschprogramme, Injektionsräume, Methadon-Programme und später sogar Heroinabgabe-Programme sind in der Schweiz zum Standard geworden. Mit guten Ergebnissen: 2011 lag die Zahl der HIV-Neuansteckungen bei IDU unter 30 – 1990 waren es noch über 1000. Auch in einigen Gefängnissen etablierten sich Nadel- und Spritzentauschprogramme. Das Pilotprojekt in der Frauenhaftanstalt Hindelbank von 1994 gilt international als die Referenz für Schadensminderung im Freiheitsentzug. Trotzdem machen heute lediglich 13 von 113 Haftanstalten in der Schweiz vergleichbare Angebote.

Gefängnisgesundheitsdienst ist Sache der Justiz
Die Ursache dieses Missstands liegt teilweise in der föderalistischen Struktur der Schweiz: Die Kantone sind für die Justiz und für die Institutionen des Freiheitsentzugs zuständig. Dazu gehört die Verantwortung für Gefängnisgesundheit. In 24 Kantonen ist die Justizdirektion für die Gefängnisgesundheitsdienste zuständig. Lediglich in zwei Kantonen sind diese der Gesundheitsdirektion unterstellt. Wenn Gefängnisgesundheitsdienste Teil des Strafvollzugs sind, besteht keine Gewähr für die ärztliche Unabhängigkeit dieser Stellen. Die meisten Ärztinnen, Ärzte und Pflegenden stehen somit in einem Loyalitätskonflikt. Die Prinzipien der informierten Einwilligung und der ärztlichen Schweigepflicht werden häufig verletzt.

Vademekum zur Harmonisierung
In diesem Spannungsfeld von Gesundheitsversorgung und Strafvollzug setzt das Projekt BIG an: Gesundheits- und Justizbehörden sollen gemeinsam nachhaltige Instrumente schaffen, um die Übertragung von Infektionskrankheiten im Freiheitsentzug mit ähnlichen Methoden wie in der Aussenwelt zu bekämpfen. Die Leitung dieser Zusammenarbeit haben die Gesund­heits­behörden. Existieren heute unter den Haftanstalten deutliche Unterschiede in Erkennung, Verhütung und Behandlung übertragbarer Krankheiten, so sollen künftig einheitliche nationale Minimalstandards zur Verhütung, Beratung, Testung und Therapie berücksichtigt werden. Zudem sollen geeignete Schulungsmodule zur Prävention von Infektionskrankheiten für die Gefängnismitarbeitenden aller Ebenen und Berufe entwickelt und von diesen umgesetzt werden.

Zu diesem Zweck wurde ein Vademekum mit Empfehlungen, Standards und Checklisten rund um den Umgang mit Infektionskrankheiten und paramedizinischen Themen (z. B. Eintrittsfragebogen und Informationsweitergabe) erstellt. Das Vademekum ist auf konkrete Situationen ausgerichtet und wurde von Fachspezialisten geprüft. Der Inhalt beruht auf empirischen Daten oder stützt sich auf Nachweise aus der Fachliteratur.

Contact

Matthias Gnädinger,matthias.gnaedinger@bag.admin.chSektion Prävention und Promotion

Karen Klaue, karen.klaue@bag.admin.ch,Sektion Prävention und Promotion

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